Der Hobby-Genealoge Hans-Wilhelm Lolling übergab seine Ausarbeitungen dem Heimatverein der Insel Borkum
„Ahnenforschung ist auf Dauer die mehr oder minder beharrliche Suche nach den Vorfahren, ihren Namen, nach allen vorhandenen Daten, ihrem Wirken und Dasein, ihren Lebensorten. Soll genealogische Forschungsarbeit ernst genommen werden, dann müssen zwei wichtige Vokabeln beachtet werden: Sorgfalt und Ausdauer“, sagt der in Dortmund beheimatete Dipl.-Ing. Hans Wilhelm Lolling.
Er ist kein ausgebildeter Genealoge, sondern kam durch einen zufälligen Augenblick zur Familienforschung. Es begann 1971 mit dem Besuch des Heimatmuseums auf der Insel Borkum. Im dem damals noch kleinen „Walfangzimmer“ fand er zu seiner großen Überraschung auf einer altertümlichen Bildtafel mit einem original Rahmen aus dem 18. Jahrhundert mehrmals seinen Familiennamen in Verbindung mit Kommandeuren, die auf den Walfangschiffen für niederländische und hamburgische Reeder fuhren.
Sein Interesse war geweckt, aber bis 1982 waren Nachforschungen berufsbedingt nicht möglich. Dann brachten seine Frau und seine Tochter von einem gemeinsamen Urlaub das Buch „Aus Borkums Vergangenheit“ des langjährigen Museumsleiter
Hans Teerling mit und hier stieß Hans Wilhelm Lolling auf den Inselpastor Gerhardus Lolling, der von 1648 bis 1678 Seelsorger der evangelisch-reformierten Gemeinde war. Wer war dieser „Domine“? Wo waren seine Wurzeln? Wie und wo bekam er seine Ausbildung? Wo blieben seine Kinder? Gibt es noch Nachkommen? Oder vielleicht sogar noch Unterlagen und Dokumente? Das Interesse an das Leben der Vorfahren erwachte und wurde zu einer Leidenschaft.
Nach ausführlichen Gesprächen mit der damaligen Kassiererin im Museum Christa Burkart, sowie den versierten Kennern der Inselgeschichte Hans Teerling und Hidde Meyer-Gerhards und nach der intensiven Suche im früheren Archiv, dem sogenannten „Dr. Linke Kamer up de Böhn in’t Dykhus“ , fand er zusätzliche Informationen im Staatsarchiv Aurich, in den örtlichen Stellen in Leer, in der Krummhörn, im Rheiderland, im nördlichen Westfalen, besonders aber in der Provinz Friesland in den Niederlanden ebenso wie in Groningen, in Amsterdam und Rotterdam.
Der Werdegang von Pastor Gerhardus Lolling wurde recherchiert und das Leben in der Zeit auf Borkum aufgezeichnet. Über seine Herkunft und seine Jugend war wenig bekannt. Seine Kinder verließen die Insel recht früh, Sohn Dirk war auf Borkum verheiratet. Zitat des Inselchronisten Dr. Hans Linke:“ Das Geschlecht der Lollings hat auf der Insel seinen Namen vergessen. Auf dem Festland ist der Name noch vorhanden und viele Träger zeichnen sich durch große Gelehrsamkeit aus“. So ist zum Beispiel in Fachkreisen der Archäologe Dr. Habbo Lolling, der in Griechenland tätig war, sehr bekannt. In einem Nachruf der ‚Berliner Philogischen Wochenschrift‘ heißt es: „ Mit ihm verliert die deutsche Wissenschaft aus der jüngeren Generation unbestritten den tüchtigsten Kenner hellenischer Landeskunde, zugleich einen der kundigsten Epigraphiker“.
Wo lag der Ursprung der Lollings? In Westfalen, in Friesland oder Ostfriesland? Führt eine Aktennotiz über eine Gerichtsverhandlung vor einem niederländischen Zivilgericht weiter, als hier ein gewisser Gerhardus Lolling am 18. Mai 1639 in seinem Haus den Gerichtsdiener mit einem Beil „zu Leibe ging“, aber von seiner Frau festgehalten wurde und der „hartbärtige“ Sohn, angetrieben vom Vater, mit einer Bullpeitsche auf den Gerichtsdiener losging und ihn schlug? Vater Lolling erschien wütend vor Gericht und ist dann freiwillig weggegangen – „begab sich in den großen Walfisch von Gott, der ihn irgendwo in ein anderes Land auswarf, um mit Jonas in ein Ninive zu gehen und dort das Evangelium zu predigen“. Bei dem Borkumer Pastoren Gerhardus Lolling steht in den Annalen: „ Da er ein sehr temperamentvoller Herr zu sein scheint, äußerte seine Meinung nicht nur in heftigen Worten, sondern auch in unüberlegten Taten.“ Dem steht entgegen, dass er bei seinem Dienstantritt sehr gute Leumundszeugnisse vorweisen konnte. Sein Gehalt war sehr bescheiden,
aber er soll „ein guter Bauer“ gewesen sein. Das hat ein Amtsbruder gesagt.
Aber die religiösen und dienstlichen Gegensätze zwischen Pastor Lolling und dem Vogt Nicolaus Sleevogt, der lutherisch war, wurden durch persönliche Differenzen noch vergrößert. 1663 schenkte ein unverheiratetes Mädchen einem Knaben das Leben. Sie wollte das Kind auf den Namen des Vaters taufen lassen und das war einer der Söhne des Vogtes. Der wiederum drohte, er werde den Pastoren erschießen, wenn er das täte. Lolling hat tatsächlich von der Namensnennung bei der Taufe Abstand genommen, sich aber beim Konsistorium beschwert und dort blieben die Akten erhalten. Pastor Lolling verschied 1678. Im gleichen Jahr starb auch der Vogt Sleevogt und die erbitterten Rivalen wurden beide auf dem Friedhof neben der kleinen Kirche am Alten Turm beerdigt.
Bei den Nachforschungen gibt es nicht nur die nüchternen Jahreszahlen, sondern dahinter stehen immer die Schicksale der einzelnen Menschen. Hier nur ein kleines Beispiel: Die Fahrten ins Eismeer waren voller Gefahren. Wind und Sturm trachteten den Seeleuten nach dem Leben, sie starben durch Krankheit oder Skorbut, verloren durch Eispressung ihr Schiff und nicht selten wurden die Männer, Jünglinge oder mitfahrende Kinder verletzt oder verstümmelt. So verlor Dirk Fokken Lolling als junger Mann um 1727 auf einem Walfangschiff mit 22 Jahren ein Bein, kam aber zur Insel zurück. Er wurde 62 Jahre alt und war vierzig Jahre Vorsänger bei den Gottes-
diensten in der kleinen Kirche am Turm.
Der nach seiner Pensionierung begeisterte Ahnenforscher Hans Wilhelm Lolling kommt dann jedes Jahr mit seiner Frau nach Borkum und wohnt stets „ gut und glücklich“ in der Gartenstraße bei Frau Annalouise Lammers. Bei seinen Nachforschungen muss er sich nicht nur mit der verschiedenen Schreibweise seines Familiennamens in den alten Schriftstücken auseinander setzen, auch die geschichtlichen und religiösen Zusammenhänge in der damaligen Zeit wollten erarbeitet werden. Natürlich lernte er bei seinen Studien und Anfragen viele Leute kennen und schätzen und er fand unzählige Menschen mit dem Namen Lolling, mit denen er heute noch in Kontakt steht. In Ostfriesland und den Niederlanden kann er seine Vorfahren bis 1600 zurück verfolgen, im Tecklenburger Land – im nördlichen Westfalen – sogar bis 1400.
Neffe Andreas entdeckte in der Bibliothek der Mormonen in Salt Lake City den Namen Lolling und ebenso bei den Baptisten in Illinois. Für Hans Wilhelm Lolling der gegebene Anlass ein neues Kapitel aufzuschlagen: Die Lollings in den Vereinigten Staaten von Amerika. Von seiner Reise in die USA 1998 schreibt er einen 22seitigen Reisebericht, zwei Fotoalben dokumentieren den Trip und die weit verzweigte Verwandtschaft wird auf 27 Seiten dokumentiert und festgehalten.
Hans Wilhelm Lolling hat seine Wurzeln in Ostfriesland. Der Großvater Gerhardus Freerks kam von Visquard über Leer nach Emden, war Kaufmann und Bürgervorsteher, zwei silberne Verdienstmedailllen der Stadt Emden sind noch in Familienbesitz. Der 1878 geboreneVater Johann Gerhard Friedrich, gelernter Kaufmann und später Steuerberater, erkannte die Zeichen der Zeit und kam schon vor 1910 über Göttingen und Hamm in Westfalen nach Dortmund. Hans Wilhelm, 1927 geboren, begann 1951 das Studium in Essen, ab Mitte 1954 war er sieben Jahre im Ing.-Büro für Baustatik , danach acht Jahre bei einem Prüfingenieur für Baustatik tätig und danach folgten 25 Jahre beim Prüfamt in Dortmund. Die Berufe seiner Vorfahren gehen von den Pastoren über die Lehrer, Schiffer, Seeleute, Kapitäne, Kaufleute, Ingenieure und Techniker. Der Vorname Gerhard geht durch alle Generationen bis zum Bruder.
Nach dem Tod seiner Frau kam Hans Wilhelm Lolling nur noch einmal zur Insel zurück. Zu viele Erinnerungen haben ihn nach mehr als 25 Jahren gemeinsamer Urlaubstage abgehalten. Aber er schwärmt noch immer von Borkum: über seinem Bett habe die Tochter ihm ein Poster angebracht und wenn er morgens aufwacht sieht er den herrlichen weißen Inselstrand mit den hohen Dünen.
Und noch immer hält er telefonischen und brieflichen Kontakt und bei einem Gespräch bot er an, seine Unterlagen – nach Absprache mit seinen Kindern – dem Heimatverein der Insel Borkum zu überlassen, einschließlich der umfangreichen
Literatur mit dem Hintergrundwissen zur Zeitgeschichte. Lieber Herr Lolling, wir können nur vielen, vielen Dank sagen und versprechen die Chronik gut zu verwahren.
Ironie oder Fügung der Geschichte: Pastor Lolling wohnte im Borkumer Pfarrhaus, nördlich der kleinen Inselkirche gelegen. Fast 150 Jahre später wurde das Gebäude wegen Baufälligkeit aufgegeben und das Grundstück an die staatliche Behörde zur Unterhaltung des Leuchtturmes verkauft. 1984 erwarb der Heimatverein das Haus mit den Dienstwohnungen der Leuchtfeuerwärter und vor geraumer Zeit wurde dort das
im Laufe der Jahre stetig angewachsene Dokumenten- und Bildarchiv des Vereins untergebracht. Und so kehrt „de Domine“ durch die umfangreiche Familienchronik von Hans Wilhelm Lolling an die Stätte seines Wirkens zurück.
Als Leitspruch für seine Fleißarbeit hat er sich einige Zeilen aus dem „Haus- und Ahnenbuch“ von Ludwig Finckh ausgesucht:
Weißt du, Menschenkind, wer du bist?
Wer du warst vor grauen Zeiten
und wer du sein wirst?
Von wo du gekommen bist und wohin du gehst?
Was hat es für einen Sinn, das zu wissen?
Es hat den Sinn, dass du nicht in den blauen Tag hineinlebst wie bisher,
vom Ursprung bis zum Ende,
sondern einmal stille stehst und vor und zurück blickst über deinen Weg.